Rollenbilder, Stereotype und Vorurteile- weekly blog 03

Heute möchte ich in diesem Blog über einige Stereotype schreiben, die mir in den letzten Wochen begegnet sind und mit Vorurteilen über die Rollenbilder hier in Afrika aufräumen. Obwohl ich dachte ich wäre relativ „aufgeklärt“, was das Leben und den Umgang der Menschen untereinander hier angeht, habe ich doch gemerkt, dass auch ich Vorurteile mit in mein Auslandsjahr genommen habe. Viele davon konnte ich durch die Erfahrungen der letzten Wochen ablegen, mit Einigen habe ich noch zu kämpfen. Ich merke aber, wie ich meine Reserviertheit immer mehr ablege und mich den Menschen und ihrer Lebensweise gegenüber öffne.

Afrika- ein gefährlicher Kontinent? Nein. Zumindest nicht gefährlicher als Deutschland. Selbst manche deutsche Ärzte haben mir davon abgeraten nach Afrika zu fliegen und erst recht davon ein ganzes Jahr dort zu verbringen. „Zu gefährlich“. Ich erinnere mich daran, wie mir einer der Ärzte erzählte, dass seine Patientin in einem afrikanischen See baden war und sich nun unwiderruflich Parasiten in ihrem Gehrin vermehren. Ganz davon abgesehen, dass man schlau genug sein sollte, um fremde Gewässer zu meiden, hat es dieser Arzt geschafft, mir und vielen anderen Deutschen in den Kopf zu setzen, man könne in Afrika nicht gefahrlos leben. Was viele dabei aber vergessen, Parasiten gibt es überall auf der Welt, auch in Deutschland. Wir bekommen als Kinder beigebracht uns den Sand aus dem Sandkasten nicht löffelweise reinzuschieben, genauso werden afrikanische Kinder gemaßregelt, wenn sie ihre Sandkasten-Kuchen zu ernst nehmen.
In meiner ersten Woche in Sambia war ich verhalten dem Essen gegenüber (es könnte ja sein, dass der Arzt Recht hat und ich mir etwas einfange: „pass auf mit dem Essen und dem Wasser in Afrika“ hieß es). Schwachsinn. Die Sambier aus meiner Organisation wurden nicht krank durch das Essen, wieso sollte ich es dann werden? Sister Chrisencia hat es in einem gemeinsamen Gespräch dabei ganz gut auf den Punkt gebracht. Sie sagte zu mir: „Was siehst du wenn du dir in den Finger schneidest? Blut. Was sehe ich, wenn ich mir in den Finger schneide? Blut. Der einzige Unterschied zwischen uns beiden ist die Hautfarbe, aber wir sind beide Menschen. Alles was dir schadet, schadet mir genauso“. Das hat mir die Augen geöffnet: Wenn ich mich an den Lebensstil der Einheimischen anpasse, dann wird mir nichts passieren. Denn auch die Einheimischen haben als Kinder gelernt, dass man keinen Sand isst. Sie wissen was gefährlich ist und was nicht. Meine Familie beispielsweise trinkt hier nur abgekochtes Wasser, also tue ich das auch. Ich muss mich einfach anpassen- so funktioniert ein kultureller Austausch.

Rollenverteilung- Mann und Frau. Was mir in Deutschland beigebracht wurde: Afrikaner (dabei wurden alle Afrikaner mit einbezogen) haben ein Familienoberhaupt, den Vater der Familie. Der Vater kann mehrere Frauen gleichzeitig haben und bestimmt die Aufgaben der Frau im Haushalt. Die Frau darf dabei ohne die Erlaubnis des Mannes keine eigenen Entscheidungen treffen und unterwirft sich ihm völlig.
Viele Europäer haben dieses Bild von afrikanischen Familien. Ich glaube wir haben einfach einen Drang dazu uns als „entwickelte Länder“ besser darzustellen als die aus europäischer Sicht „noch zu entwickelnden Länder“.
Erstens: nicht alle Familien in Afrika sind gleich. Dieses Land ist so groß und so reichhaltig an unterschiedlichen Traditionen, dass es schwer ist die eine Familie mit der anderen zu vergleichen.
Zweitens: In den meisten Familien wird viel Handarbeit durch Familienangehörige erledigt. Somit eröffnen sich im Alltag einer sambischen Familie Aufgabenfelder, über die sich der Normalbürger in Deutschland überhaupt keine Gedanken mehr machen muss. Geht beispielsweise eine Grundstücksmauer kaputt, lässt man diese in Deutschland sehr wahrscheinlich durch einen Maurer reparieren. Hier ist es jedoch häufig so, dass die Männer der Familie diese Aufgaben übernehmen. Während der Mann beispielsweise draußen auf dem Feld arbeitet oder andere schwere körperliche Arbeiten übernimmt, kümmert sich die Frau um Haus und Kind. Mann und Frau ergänzen sich also in ihren Aufgaben perfekt. Und selbst diese Art der Rollenverteilung ist in der jüngeren Generation aufgebrochen. Hier kann es sein, dass der Mann der Frau beim Abwasch hilft und sie ihn im Gegenzug bei der Feldarbeit unterstützt.
Zur Rolle der Frau beziehungsweise zur Rolle des Mannes kann ich nur darüber schreiben, was ich in meiner Familie erlebe. Traditionsgemäß ist es so, dass der Familienvater ein gewisses Ansehen genießt. Das äußert sich beispielsweise darin, dass der Vater sich vor dem Essen als erstes die Hände waschen darf und wir Frauen für das Essen verantwortlich sind. Stelle ich jetzt durch diese kleine Geste des Respekts meine Bedürfnisse als Frau nach hinten? Sicherlich nicht. Den gleichen Respekt erweist mir mein Gastvater, wenn er mir anbietet, mir meine Hände zuerst zu waschen oder er mir mein Zimmer so umbaut, dass ich mich darin wohlfühle. Es sind die kleinen Dinge, die zählen. Mein Gastvater ist außerdem ein unglaublich liebevoller Mensch, der seine Bedürfnisse niemals über die seiner Frau stellen würde. Das Miteinander der beiden ist so harmonisch und geprägt von gegenseitigem Respekt, dass ich mir davon für meinen Umgang mit anderen eine Scheibe abschneiden kann.

Mugua, Muzungu oder manchmal auch „Babygirl“- eine weiße Frau in Sambia. Wie ich als weiße Frau wahrgenommen werde, hängt stark von meiner Umgebung ab. Laufe ich beispielsweise durch Livingstone, wo sich relativ viele Weiße aufhalten, fühlt es sich an, als wär es das normalste der Welt. Laufe ich stattdessen durch Kalomo, einem Dorf in dem die hälfte der Menschen nur selten, oder sogar noch nie, eine weiße Person gesehen haben, fühle ich mich wie ein Außerirdischer, der gerade einen neuen Planeten erkundet. Dort drehen sich die Menschen zu mir um und starren mich oftmals für mehrere Minuten einfach nur an. Man kann es ihnen jedoch nicht verübeln, wenn ich noch nie eine schwarze Person gesehen hätte, würde ich wahrscheinlich genauso gucken. Meistens höre ich dann die Begriffe „Mugua“ oder Muzungu“, beides Worte für „die Weiße“. Ich muss sagen, dass mich das am Anfang ziemlich gestört hat. Ich möchte einfach als Mensch wahrgenommen werden und nicht als die fremde Frau, die durch ihre Hautfarbe definiert wird. Andererseits kann ich mich nun ein bisschen besser in die Situation schwarzer Menschen in europäischen Ländern hineinversetzen. Ich glaube genau deshalb ist dieser interkulturelle Austausch so wichtig. Ich möchte den Menschen hier zeigen, dass hinter „der Weißen“ noch sehr viel mehr steckt und dass ich ein Mensch bin, wie jeder andere auch. Viele Sambier bringen mir eine sehr große Offenheit und Freundlichkeit gegenüber, weshalb es mir im Umgang mit den Menschen einfach fällt mich als „Johanna“ zu zeigen. Laufe ich allerdings durch die Stadt und habe allenfalls die Möglichkeit jemandem einen guten Tag zu wünschen, bin ich wieder nur „die Weiße“.
Mit der Offenheit vieler Männer auf den Straßen kann ich allerdings nur schwer umgehen. Im Moment kann ich nicht alleine durch die Stadt gehen ohne nach meiner Nummer gefragt zu werden und selbst in männlicher Begleitung rufen mir manche Männer so etwas wie „Baby girl“ zu. Auch kann es sein, dass mein „Nein“ teilweise nicht akzeptiert wird, wenn ich nach der Nummer gefragt werde. Es ist mir letztens passiert, dass besagte Jungs mir so lange gefolgt sind, bis ich ihnen meine (falsche) Handynummer gegeben habe.
Was ich dann aber schon wieder lustig finde: der letzte hat 100 Kühe für mich geboten, wenn ich seine Frau werde- kein schlechtes Angebot ;).
Des weiteren wird angenommen, dass ich als Weiße unglaublich viel Geld zur Verfügung habe. Frage ich beispielsweise auf dem Markt jemanden, wie viel die Kartoffeln kosten, so nennen mir viele einen doppelt so hohen Preis. Wenn ich mit Leuten rausgehe, zum Beispiel zum Shoppen, ist es schon vorgekommen, dass sie verlangten, dass ich ihnen die Kleidung bezahle. Das wäre nicht der Rede wert, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass diese Menschen nur mit mir „befreundet“ sind, weil sie glauben, dass ich Geld habe, welches ich für sie ausgeben kann. Keine gute Basis für eine stabile Freundschaft. Außerdem bin ich 18 Jahre alt, habe gerade erst die Schule beendet und bin deshalb noch arbeitslos. Dass sich mir dieses Auslandsjahr auf Basis von Spendengeldern eröffnet, weiß keiner.

Nun aber zu den guten Neuigkeiten: Ich habe Freunde gefunden!!! Also gute Freunde, denen mein vermeintlicher Goldesel egal ist und die nur mich als Person sehen. Leider gehen viele aber in Lusaka zum College und sind nur über die Ferien hier in Choma. Was bedeutet, dass ich mir in zwei Wochen wieder Neue suchen kann, da die Schule anfängt. Allerdings hat mich einer dieser Freunde mit einer deutschen Freiwilligen hier in Kontakt gebracht, die im Waisenhaus arbeitet. Letzte Woche ist ein weiterer deutscher Freiwilliger angekommen und diesen Sonntag kommen zwei weitere. Obwohl wir alle von unterschiedlichen Organisationen sind, fühlt es sich gut an mit jemandem Deutsch sprechen zu können und mich über meine Erfahrungen auszutauschen.