Nun bin ich schon mehr als ein halbes Jahr in Sambia und immer noch treffe ich jeden Tag neue Menschen. Ich interagiere mit unterschiedlichen Altersgruppen, seien es die Kinder in der Schule, oder die Älteren der Gemeinde. Jede einzelne Begegnung, sei sie noch so kurz, gibt mir unheimlich viel mit auf den Weg. Besonders interessant wird es dann, wenn die gegenseitige Neugierde den Small-Talk übers Wetter und über das eigene Wohlbefinden überwindet und wir uns über Kulturen, Sichtweisen und Werte austauschen können. Die Kinder bringen mir ein Stück Sorglosigkeit bei. Sie zeigen mir, dass das, was bedeutend ist, gegenwärtig ist. Vergangenes kann man nicht ändern, warum also länger als die Zeit darüber nachdenken, die es braucht um vom Geschehenem zu lernen? Zukünftiges hingegen ist noch nicht passiert und man kann nicht mit Sicherheit vorausbestimmen was morgen passieren wird. Warum also die Gegenwart mit Sorgen um noch nicht Geschehenes verderben? Das Einzige, was ich mit Sicherheit beeinflussen kann ist das Heute. Geholfen hat mir dies unter anderem bei der Frage, ob ich dieses oder nächstes Jahr anfangen möchte zu studieren. Ich war unglaublich besorgt, dass wenn ich nächstes Jahr das Studium beginne, ich mich ein Jahr länger um die Finanzierung desselben sorgen müsste. Andererseits habe ich noch so viel geplant, was ich vor meinem Studium erreichen möchte und das meine Aufmerksamkeit benötigt. Diese Dinge müsste ich während meines Studiums vernachlässigen oder vielleicht auch ganz aufgeben. Meine Schlussfolgerung: Ich bin 19 Jahre alt. Ich habe mein ganzes Leben noch vor mir und technisch gesehen ist es nie zu spät um zu studieren. Ob ich jetzt mit 19 oder 20 anfange, spielt dabei nur eine geringe Rolle. Gleichzeitig ist es wichtig sich auszuprobieren, besonders wenn man noch alle Möglichkeiten dazu hat. Nur so kann ich später fokussiert und zielstrebig meinem Karriereweg nachgehen. Die beste Zeit um sich selbst auszuprobieren, seine Interessen, sowie Stärken und Schwächen zu erforschen ist jetzt. Jetzt, wo ich noch keine Verantwortung meinen Kindern und meinem Job gegenüber habe.
Ich liebe es den Kindern meiner Schule zuzuschauen, ihnen Fragen zu beantworten oder einfach nur die Pausen miteinander zu verbringen. Was ich auf die harte Tour lernen durfte, die Unbeschwertheit der Kinder macht sich auch in ihren Fragen und Aussagen bemerkbar: „Das sind Jungs-Schuhe, warum trägst du die?“, „Warum sind deine Fingernägel lang? Du musst die abmachen! Und die Farbe mag ich auch nicht“, „Deine Haut sieht aus wie Eiscreme“. Der letzte Kommentar hat mich insofern schockiert, da der nächste Schritt des kleinen Mädchens (ca. 5 Jahre alt) war, meine Hand abzulecken mit der Schlussfolgerung, dass meine Haut und Eiscreme nichts mit einander zu tun haben. Ich habe noch nie so viel Enttäuschung in einem Gesicht gesehen, wie in dem des kleinen Mädchens, welches sich wahrscheinlich Vanille-Geschmack erhofft hat.
Auf der anderen Seite hilft mir die Interaktion mit den Menschen, die älter sind als ich, seien sie noch so konservativ eingestellt. Ich lerne Verständnis und Respekt gegenüber Älteren zu zeigen und gleichzeitig auf ihre Lebenserfahrung zu vertrauen. Am meisten schätze ich es, wenn wir zwar unterschiedliche Ansichten haben, wir aber gegenseitiges Verständnis für den jeweils anderen Lebensstil zeigen können und vielleicht sogar einzelne Aspekte für uns übernehmen können.
Menschen kommen und gehen, das habe ich in diesem Jahr mehr als in jedem anderen zuvor erfahren dürfen. Manche Menschen sind dazu bestimmt in deinem Leben nur ein einziges Kapitel zu schreiben. Ich habe gelernt keine Angst davor zu haben weiter zu lesen und dieses Kapitel zu schließen, denn meine Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Neue Menschen werden mich ein Stück lang begleiten und nach einer Weile werden sich unsere Wege trennen. Und dann sind da die Menschen, die für immer bleiben. Ich habe hier lebenslange Freundschaften geschlossen und ich bin mir so sicher wie noch nie zuvor, dass wir auch noch in 50 Jahren unseren wöchentlichen „Gossip“ austauschen werden. Wir werden uns gemeinsam über die Entwicklungen unseres Lebens freuen, und gemeinsam die schwierigen Momente durchstehen. Denn ich weiß, dass Freundschaft keine Distanz und kein Alter kennt. Ich bin so dankbar für diese Menschen. Im letzten halben Jahr sind wir nicht zur zusammengewachsen, sondern auch zusammen gewachsen. Was ich heute bin, habe ich zu einem großen Teil meinen sambischen Freunden zu verdanken.