Die Zeit danach…

Vier Monate sind es nun schon, seitdem ich zurück in Deutschland bin. Es ist ein eigenartiges Gefühl. Es fühlt sich an, als hätte die Welt aufgehört sich zu drehen als man weg war. Abgesehen von der Größe meines Bruders, welcher zwar drei Jahre jünger ist als ich, nun aber schon einen Kopf größer, hat sich hier nichts verändert. Alles ist so, wie ich es vor einem Jahr zurückgelassen habe. Nur ich nicht. In Sambia hat sich die Welt für mich weiter gedreht, während sie hier zu Hause still stand. Auch wenn ich es während meines Jahres nicht so stark wahrgenommen habe, merke ich nun wie sehr ich mich verändert habe. Ich bin persönlich gewachsen, in gewisser Weise nun auch erwachsen und sehe die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Das führt im Alltag dazu, dass ich anecke, auf der anderen Seite eröffnet es mir neue Wege, die ich vielleicht zuvor nicht wahrgenommen habe.

Auch die Gespräche haben sich zum Großteil nicht verändert. Damals habe ich noch häufig mit einem kindlichen Kopfnicken zugestimmt, heute habe ich jedoch meist eine ganz andere Meinung als meine Familie. Teilweise erscheinen meine Gesprächspartner dann aber so festgefahren in ihrer eigenen Meinung, dass ich mich Frage, ob es überhaupt Sinn macht zu argumentieren. Ich kann sie dafür allerdings nicht verurteilen, denn die meisten Meinungen sind basierend auf den Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben. Besonders mit Blick auf mein Auslandsjahr, durfte ich ganz andere Erfahrungen machen, als manch anderer in meiner Familie. Dies führt teilweise zu Auseinandersetzungen. Es ist besonders dann allerdings wichtig in den Austausch zu gehen, indem ich auch meine Sichtweise als Informationsquelle anbiete. Das ist einer der Gründe warum ich ein Auslandsjahr in einem Entwicklungsland gemacht habe. Ich möchte meine Erfahrungen teilen und eventuell auch Vorurteile aus dem Weg schaffen. Und so wurde aus der provozierenden Frage meiner Verwandtschaft: „Du bringst uns aber keinen Schwarzen mit nach Hause oder?“ eine einfache Gegenfrage meinerseits: „Was wäre denn so schlimm daran?“, welche nach kurzem Schweigen zur folgenden Antwort führte: „Ja wenn du das so sagst weiß ich das eigentlich auch nicht…“

Zeit als Ordnungsprinzip der Menschheit?

Es ist paradox, wie sehr sich meine Welt hier in Deutschland im Moment verändert, hatte ich doch das Gefühl es hätte sich nichts verändert, als ich hier ankam. Wenn sich die Welt in Deutschland für mich vorher überhaupt nicht drehte, dreht sie sich nun doppelt so schnell. Es ist unglaublich, wie schnelllebig Deutschland ist, im Vergleich zu meiner Zeit in Sambia. Mein ganzer Monat ist vollgeplant mit Terminen und auch für den Darauffolgenden habe ich schon alles sorgfältig einkalkuliert und in meinen Kalender eingetragen. Meist habe ich mehrere Termine am Tag, dicht aneinander gepresst. Je mehr ich diese Woche an Terminen schaffe, desto besser und nur wenn ich am Ende der Woche alle Termine wie geplant abgearbeitet habe, war ich erst wirklich produktiv. Die Zeit ist mein größter Gegner. Sie bestimmt meinen Alltag und doch habe ich jeden Abend das Gefühl zu wenig von ihr zu besitzen. Prokrastination- So macht sich meine Überforderung bemerkbar. Je mehr ich jedoch meine Aufgaben nach hinten Verschiebe, desto gestresster bin ich am Ende des Tages.

Das Gegenspiel hatte ich in Sambia. Keiner macht Termine und wenn ist es eher ein Termin mit einem „Vielleicht“ davor. Wie oft hatte ich in Sambia die Situation, dass ich meine Freunde gefragt habe wann wir uns denn treffen sollen, sie mir eine Uhrzeit genannt und diese dann nicht eingehalten haben? Wenn die Verabredung für drei Uhr angekündigt war, war ich anfangs noch pünktlich. Dies hatte zur Folge, dass ich anschließend drei Stunden alleine in der Stadt gewartet habe, nur um zwei Stunden nach abgesprochener Uhrzeit die Nachricht zu bekommen: „Tut mir Leid, bin etwas zu spät, aber bin schon auf dem Weg“. „Auf dem Weg“ heißt in Sambia by the way der Weg aus dem Bett und nicht aus dem Haus. Es wird in den Tag hineingelebt, Absprachen nur selten gehalten und Uhren allerhöchstens als Statussymbol getragen. Im Endeffekt hatte ich für jeden meiner Freunde einen eigenen Zeitpuffer kalkuliert, mit dem ich berechnen konnte, wann ich aus dem Haus gehen muss, damit wir „pünktlich“ aufeinander treffen würden.

Nach einer Zeit habe ich mich aber gefragt warum ich das eigentlich mache? Warum ist mir Zeit so wichtig? Die Antwort fand ich schnell: Kontrolle. Ich mag es wenn ich die Kontrolle über mein Leben habe und vorausplanen kann, um mögliche Umstände zu umgehen. Auch heute ist mir diese Kontrolle ein Stück weit wichtig. Jedoch habe ich gemerkt, dass ich in Situationen, die ich nicht vorausplanen konnte, total hilflos war. Im Gegensatz sind meine sambischen Freunde diesen Situationen mit Leichtigkeit und vor allem Gelassenheit gegenübergetreten, was zu einem deutlich besseren Ergebnis führte. Ich habe also zum Ende des Auslandsjahres hin angefangen meine verkrampfte Haltung gegenüber meiner zur Verfügung stehenden Zeit aufzugeben. Das Resultat: Aus „Lass uns um drei Uhr treffen“ wurde: „Ich bin gerade in der Stadt, hast du Lust vorbei zu kommen?“. Spontanität hat mich viel Überwindung gekostet, jedoch kann ich jetzt neue Situationen gelassener bewältigen. Wer hätte gedacht, dass ich irgendwann einmal alleine durch Afrika reisen würde, ohne alles detailreich vorgeplant zu haben?

Auch wenn mein Auslandsjahr nun zu Ende ist, ist das Kapitel „Sambia“ für mich allerdings noch nicht beendet. Sambia ist gewissermaßen mein zweites Zuhause geworden und meine Freunde wurden zu meiner Familie. Deshalb Blicke ich voller Vorfreude auf die vielen unbeschriebenen Seiten, auf das ich dort neue Geschichten ergänzen kann. Meine nächste Reise nach Sambia steht im Januar an, denn habe ich dort nicht nur viele wundervolle Menschen kennenlernen dürfen, die zu lebenslangen Freundschaften wurden, sondern auch einen Partner, der mich hoffentlich in einem Großteil dieser Geschichten begleiten wird.